Intonation, Reiner Janke

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Was bestimmt den Orgelklang

 
Innenansicht eines Intonateurs

Zu erst erschienen ISO-Journal, Ausgabe April 2012, Nummer 40
 
"Verstehen Sie sich als Handwerker oder als Künstler?" werde ich oft gefragt. In den Anfangsjahren meines Berufslebens habe ich stets die handwerkliche Komponente meiner Arbeit betont. Inzwischen, nach fast 35 Berufsjahren, ist die Kunst deutlich in den Vordergrund getreten. Der Wechsel hat sich schleichend vollzogen. Zur handwerklichen Erfahrung ist das Verständnis für die musikalische Welt gekommen. Anfangs ging es darum, jeder Pfeife überhaupt einen brauchbaren Klang abzugewinnen. Die Töne ebenmäßig zu gestalten, musste erst geübt werden. Schon beim Ausgleichen des Registers ist ein guter Klangsinn und ein Gespür für die Farbnuancen und Vokale jedes einzelnen Tones gefragt. Die handwerkliche Einteilung in laut und leise reicht längst nicht aus, um den Charme, den ein Register verbreiten kann, zu beschreiben. Die Kunst beginnt dort, wo das Handwerk so beherrscht wird, dass sich eine klangliche Idee, die aus Erlebnissen und Erfahrungen gewonnen wurde, im musikalischen Ausdruck authentisch umsetzen lässt. Oft bin ich selbst überrascht, wie stark diese Idee das fertig gestellte Instrument prägt. Dabei bringt jeder Intonateur mit seinem handwerklichem Geschick und seiner eigenen Idee vom Klang des Instrumentes ein einmaliges klangliches Ergebnis hervor, so wie es auch unterschiedliche Interpretationen ein und desselben Stückes durch verschiedene Musiker gibt.

Die Philosophie der Intonation

Welche Leitgedanken prägen diese klangliche Idee? Diese Frage wird naturgemäß bei jedem Intonateur etwas anders ausfallen. Für mich haben sich vier Hauptpunkte herausgebildet, die meine Arbeit bestimmen.

Die Harmonie

Die französische Bezeichnung des Intonateurs als "L' harmoniste" ist am treffendsten. Es bedeutet frei übersetzt: Der, der die Harmonie herstellt. Der Intonateur stellt die Harmonie des einzelnen Tones, des Registers in sich, der Register zu einander, der Werke miteinander und der Orgel mit dem Raum her.

Die Balance

Erst die richtige Balance erzeugt Harmonie. Innerhalb eines Pfeifentones ist die richtige Aufschnitthöhe ein solcher Balanceakt. Ist der Aufschnitt zu niedrig, klingt die Pfeife zu forciert, hart, scharf und spricht langsam an. Ist der Aufschnitt zu hoch, verliert sie an Kraft, Obertönen und Stabilität. Bei allen Arbeiten gilt es, den schmalen Grat der richtigen Balance zu finden. Hier liegt auch die größte Effizienz des Klanges. Ein ausbalancierter Ton hat Fülle, Farbe und Lebendigkeit. Ausbalancierte Mixturen werden niemals als zu laut empfunden und ausbalancierte Register verschmelzen im hohen Grade miteinander.

Anmut trotz Erhabenheit

Das etwas altmodische Wort beschreibt am Besten, welche Ausstrahlung von einem Instrument ausgehen sollte. Da die Position im Raum und das volle Spiel häufig Erhabenheit vermitteln, sollten Ohr und Auge auch etwas Weiches, Liebliches und Feines bekommen, das sie anrührt und verführt. Es muss für den Laien immer etwas Geheimnisvolles von einer Orgel ausgehen. Der Orgelbauer, für den der Klangkörper zunächst einmal Werkstück und Arbeitsplatz ist, entdeckt dieses Geheimnis, beim Austausch mit den Musikern und auch musikalisch gebildeten Laien, die die Wirkung der verschiedenen Orgeln subjektiv beschreiben.

Die "Farbenlehre":

Den Klängen kann man auch einzelne Farben zuordnen. Kühle Klänge würde ich mit der Farbe Blau verbinden, warme mit der Farbe Rot, und stumpfe mit Braun. Jeder Raum hat einen bestimmten Klang. Oft bestimmen schon die Materialien, die in einem Raum vorherrschen, seine Klangfarbe. Ein kahler Raum mit großen Fensterflächen klingt kühl und hart, wie die Farbe Blau. Ein Gemeindezentrum mit viel Holz und Polsterstoffen wirkt dagegen wie die Farbe Braun. Bei der klanglichen Planung sollte die Klangfarbe des Raumes immer mit einbezogen werden. Eine mixturenbetonte Orgel mit strahlenden Klängen kann ihren Obertonreichtum sehr gut in einem blauen oder weißen Raum entfalten. In einem braunen wird dieser Klang dagegen als unangenehm und schrill empfunden. Hier sind weiche und satte Klänge gefragt.  

Was beeinflusst das Gesamtklangbild?

Wenn eine Orgel erklingt, sind an der Klangentfaltung nicht nur die Pfeifen beteiligt. Vielmehr hat jedes Detail des Instruments Einfluss auf den Klang, wenn auch nicht im gleichen Maße. Eine Orgel sollte immer im Raum beurteilt werden, denn das Instrument wird für die Zuhörer gebaut und nicht für die Spieler. Die nachfolgend aufgeführten Komponenten beziehen sich auf die Wahrnehmung an einem durchschnittlichen Standort im Raum in der Reihenfolge ihrer Dominanz.

1. Raum und Aufstellungsort:

Die Akustik des Raumes und der Aufstellungsort bestimmen sicherlich zur Hälfte den klanglichen Gesamteindruck. Diese Umstände hat der Orgelbauer meist nicht in der Hand, daher kann auch eine noch so gut intonierte Orgel in einem Wohnzimmer oder einer Übezelle niemals einen überwältigenden Eindruck beim Zuhörer hinterlassen. Umgekehrt kann aber ein mittelmäßig intoniertes Instrument in einer guten Akustik eine ganz akzeptable Wirkung erzielen. Dies soll aber kein Grund sein, es mit der Sorgfalt der Intonation in einem Raum, der beste Bedingungen bietet, nicht so genau zu nehmen. Auch in einer optimalen Umgebung lohnt sich die letzte Perfektion. Das Ergebnis ist dann um so beeindruckender. Und wenn sich die Umstände schwierig gestalten, entsteht durch eine hohe Intonationskunst immer noch eine gute Orgel.

2. Intonation:

Weiter hat die Intonation den entscheidenden Einfluss. Mir sind 55 Parameter bekannt, die den Klang einer Labialpfeife beeinflussen. Alleine eine extreme Veränderung des Aufschnittes kann ein und dieselbe Pfeife von einem Salizional zu einer Flöte verwandeln. Bei Renovierungen und Umbauten kommt es vereinzelt vor, dass ich Register ganz neu intoniere. Wenn ich alle Mittel einsetze, die mir zur Verfügung stehen, ist das Register danach so verändert, dass nichts mehr an sein vorheriges Klangbild erinnert. Die Bandbreite der Intonationsmöglichkeiten ist sehr groß und kann Instrumente mit gleicher Disposition extrem unterschiedlich klingen lassen. Dies wird auch durch die Klangbilder der verschiedenen Epochen deutlich, bei denen vor allem die jeweilige Intonation zu unterschiedlichen Ergebnissen führt.

3. Disposition und Bauform:

Da die Dispositionen von Orgeln in der Regel keine erheblichen Unterschiede aufweisen (gewählt wird üblicherweise eine Mischung aus Prinzipalen, Flöten, Streichern, Mixturen und Zungen), ist der Einfluss auf das Gesamtklangbild nicht so ausgeprägt, wie es oft angenommen wird. Auch die Mensuren oder Bauformen verändern das Klangbild deutlich weniger, als es mit Intonationsmitteln möglich ist.

4. Das Windsystem:

Diese "Lunge" und "Bauchstütze" der Orgel kann, ähnlich wie bei einem Sänger, vieles am Klang verbessern oder verderben. Steigt der Winddruck beim vollen Spiel in den Laden an, so strahlt der Schlussakkord und drängt nach vorne. Fällt der Druck dagegen ab, so klingt der Schlussakkord schmutzig und schwirrend. Da nützt selbst genauestes Stimmen nichts. Auch ein kurzatmiger, hartstößiger Wind kann eine Komposition vollends aus dem Takt bringen, wohingegen ein langsam und weich schwingendes Windsystem die Interpretation belebt. Ladenbälge mit großen Einlaßventilen in Tellerform neigen durch ihre Konstruktion dazu, bei wenig Windverbrauch im Stakkatospiel ein "Trillern" im Wind zu erzeugen. Da dies oft nicht isoliert herausgehört wird, entsteht beim Zuhörer der Eindruck eines harten Windes.

5. Temperierung:

Dass eine ungleichstufige Temperierung auch einen großen Einfluss auf den Klangeindruck hat, wird meines Erachtens nach zu wenig beachtet. Beim Ausgleichen auf der Intonierlade stimme ich manchmal ein Register vorübergehend mitteltönig. Im Vergleich zu der früheren etwas ungleichstufig gestimmten Version entsteht der Eindruck, ein völlig anderes Register vor sich zu haben. Die Wirkung der reinen Terzen und verschiedenen Halbtonschritte lässt die Pfeifen klanglich sofort um 300 Jahre altern. Der Vergleich des Klanges historischer Orgeln mit dem Klang moderner Orgeln hinkt, da die Instrumente gewöhnlich unterschiedlich gestimmt sind. Auch die verschiedenen Varianten ungleichstufiger Temperaturen von gleichstufig modifiziert bis wohltemperiert (z. B. Kirnberger III) verändern den Klangeindruck desselben Instrumentes deutlich.

6. Gehäuse:

Ein Gehäuse hat keine aktiv klangbildende Wirkung. Auch seine Oberfläche und Form haben auf die Reflexion des Klanges nur einen sehr untergeordneten Einfluss. Ein um 2 mm erhöhter Winddruck wirkt sich zum Beispiel stärker aus. Das Gehäuse schattet jedoch vor allem den Klang ab. Bei kleinen Ausführungen, wie Rückpositiven und Brustwerken, färbt es den Klang aufgrund seiner Resonanzen. Dies betrifft insbesondere die tiefe Lage von 8' und 4' Registern. Je größer das Gehäuse jedoch wird, um so weniger hört man eine Färbung. Mitschwingende Füllungen können nur durch einzelne Töne angeregt werden. Im schlimmsten Fall erzeugen sie ein Schnarren, ansonsten wird Schallenergie in Bewegungsenergie verwandelt und so dem Klang entzogen. Eine Orgel ohne Gehäuse muss wesentlich sorgfältiger intoniert werden, da das Gehäuse und die Prospektpfeifen nicht die unangenehmen Nebengeräusche eines Pfeifentones herausfiltern.

7. Ladensystem bzw. Dimensionierung von Kanzelle und Ventil:

Dass Schleifladen grundsätzlich besser klingen als Kegelladen, habe ich bislang noch nicht festgestellt. Es gibt Schleifladen mit 1,5 m langen und zudem hohen Kanzellen, bei denen eine Flöte 4' im Diskant bei der Ansprache unerträglich trillert. Ich kenne demgegenüber mechanische Kegelladen, die eine höchst differenzierte Ansprache der Pfeifen ermöglichen, ohne dass dies explosionsartig und zittrig klingt. Länge und Querschnitt einer Kanzelle bestimmen die Resonanzfrequenz, die in einem bestimmten Frequenzbereich als unangenehm wahrgenommen wird. Dann trillert eine lange Tonkanzelle genau so wie eine enge Registerkanzelle. Hinzu kommt die Dimensionierung der Verführung im Stock bzw. der Bohrung vom Kegel- oder Taschenventil bis zur Pfeife. Ist sie zu klein, spricht die Pfeife zäh an. Dass viele kleine Pfeifen auf Kegelladen starke Kernstiche haben und verglichen mit einer barock intonierten Pfeife dadurch zäh und matt ansprechen, ist ein Hinweis darauf, dass mit diesem Intonationsmittel das Trillern der Registerkanzelle gedämpft werden sollte. Eine andere Dimensionierung der Registerkanzelle oder eine Auslassbohrung am Ende der Kanzelle würde aber diesen "Missbrauch" der Intonation überflüssig machen.

 
Weitere Einflüsse auf das Gesamtklangbild ?

Auch etliche weitere Faktoren haben Anteil am Gesamtklangbild, diese im Folgenden aufgeführten aber nur in sehr untergeordnetem, wenn nicht minimalen Maße.

Pfeifenwandschwingungen

Den Pfeifenwandschwingungen wird oft ein erheblicher Einfluss auf den Klang einer Pfeife, ähnlich der Wirkung des Resonanzbodens einer Geige auf deren Klang, und damit eine maßgebliche Wirkung auf den Gesamtklang beigemessen. Hier liegt eine Überbewertung vor. Die übersteigerte Beschäftigung mit den Pfeifenwandschwingungen lenkt von den eigentlichen Mitteln der den Klang prägenden Intonation ab, die erst einmal beherrscht werden müssen. Es ist selbstverständlich, dass es Pfeifenwandschwingungen gibt. Jeder, der eine klingende 4'-Pfeife anfasst, spürt dies. Nur ist es physikalisch unmöglich, dass diese Wandschwingungen Schall abstrahlen. Es entsteht vielmehr ein akustischer Kurzschluss. Dieser entsteht wie folgt:
Eine Pfeifenwandschwingung sieht, stark vergrößert, wie eine Ausbauchung des Pfeifenkörpers aus, die um die Mittelachse der Pfeife wandert. Die Druckwelle, die dabei entsteht, hat beim Grundton eine Wellenlänge von etwas mehr als der doppelten Länge einer offenen Pfeife. Wenn der Bauch nach vorne schwingt, kann die Luft sofort zur Rückseite wandern und löscht dadurch den Schall aus. Um den Grundton einer Pfeife über die Wandung abzustrahlen, müsste der Durchmesser mindestens genau so groß sein wie die Länge. Bei den üblichen Durchmessern einer Pfeife würde erst ab dem 15. Oberton kein akustischer Kurzschluss entstehen und die Pfeifenwand Klang abstrahlen. Wenn dieser Oberton von der Pfeife überhaupt ausgebildet wird, ist dessen Amplitude aber so klein, dass die Anregung der Pfeifenwand im allgemeinen Rauschen des Tones untergeht.
Bei kernstichloser Intonation können von dem starken unharmonischen Rauschen zwar hochfrequente Resonanzen des Metalls angeregt und auch von der Wandung abgestrahlt werden, diese sind aber so schwach, dass sie nur messtechnisch nachweisbar sind. Eine winzige Änderung der Kernspaltenweite hat viel weitreichendere Auswirkungen.
Einen passiven Einfluss auf den Pfeifenklang hat die Wandschwingung hingegen schon. Eine Pfeife, bei der die Wandung mitschwingt, klingt schwächer. Ein Phänomen, das häufig beobachtet werden kann. Umschließt man eine schlecht und matt klingende Pfeife in der Mitte mit der Hand, tönt sie plötzlich voll und klar. Schiebt man sie auf der Pfeifenform, besonders auf der Längsnaht, hin und her, um sie etwas bauchig auszuformen, so ist der Fehler meist behoben. Dieses Extrembeispiel zeigt, wie sich Wandschwingungen auswirken. Sie entziehen der Pfeife Energie, die nicht in Klang, sondern in Bewegung umgesetzt wird.

Wandschwingungen im Versuch

Für einen Versuch haben wir sieben Pfeifen aus unterschiedlichen Legierungen und Wandstärken (zum Teil stark ausgedünnt) gleicher Bauart und Mensur von C, 1' herstellen lassen. In einem ersten Durchlauf habe ich alle Pfeifen gleich intoniert und sie einigen Fachleuten vorgespielt. Hier konnte keine einheitliche Beurteilung gefunden werden, die Rückschlüsse auf das Material zuließ. In einem zweiten Durchlauf wählten wir einen anderen Ansatz. Ich habe alle Pfeifen so intoniert, dass sie gleich klingen, wobei die Aufschnitthöhen alle genau übereinstimmten. Dieser Arbeitsprozess war sehr langwierig. Es zeigte sich, das je nach Entfernung und Winkel der Klangeindruck variierte. Ein gleichmäßiges Ergebnis ließ sich erst durch vielfache Positionsveränderungen bei der Überprüfung der Klangbildung erzielen. Für die bearbeiteten Pfeifen hat die Physikerin Dr. Judit Angster am Institut für Bauphysik in Stuttgart die Klangspektren im reflexionsarmen Raum aufgezeichnet. Die Kurven waren, zu unserem Erstaunen, praktisch identisch. Mit anderen Worten: auch messtechnisch klangen die Pfeifen alle gleich. Große Unterschiede gab es dagegen bei der Fußlochgröße, der Kernspaltenweite und der Tiefe der Kernstiche. Es zeigte sich, je härter und dicker das Material war, desto weniger Wind brauchte der Ton, um den gleichen Klang zu erzeugen.
Die Kernspalte der Pfeife mit 20% Zinnanteil, die von der Rundnaht bis zur Mündung auf ein Drittel der Wandungsstärke ausgedünnt war, hatte eine um 40% größere Querschnittfläche als die der unausgedünnten Pfeife mit 75% Zinn.
Auch die Kernspalte war deutlich weiter und die Stiche waren tiefer als bei der hochprozentigen Pfeife. In der Regel sind Pfeifen jedoch so dickwandig gebaut, dass sie nur wenig von den Wandschwingungen geschwächt werden.

Pfeife

Legierung

Material

Wandung

Fußloch

Spalte

1

10%

Gehämmert

0,8

4,5

0,6

2

20%

Beidseitig gehobelt

0,7

4,5

0,65

3

20%

Beidseitig gehobelt, obere Drittel ausgedünnt

0,7 / 0,45

4,5

0,65

4

20%

Beidseitig gehobelt, von unten ausgedünnt

0,7 / 0,45

4,7

0,7

5

75%

Beidseitig gehobelt, obere Drittel ausgedünnt

0,6 / 0,45

4,3

0,5

6

75%

Beidseitig gehobelt, nicht ausgedünnt

0,6

4,3

0,5


 

Zinkblech und andere Materialien

Das zu Unrecht viel geschmähte harte Zinkblech eignet sich darum so gut für Streicher, weil hier die Wandschwingungen geringer sind. Bei den kleinen Durchmessern im Verhältnis zur Länge wird die Wandungsstärke in der Regel bei Zinnpfeifen leider etwas zu dünn gewählt und gibt dann, besonders bei Legierungen unter 80%, dem Schalldruck leichter nach als bei hartem Zink. Weithin überschätzt wird auch die Wirkung der Materialwahl auf den Gesamtklang. Wenn Holz und Metallpfeifen unterschiedlich klingen, liegt dies nur an der unterschiedlichen Bauform im Labiumbereich. Stellt man eine Holz- und Metallpfeife mit gleichen Querschnittflächen her und sägt sie oberhalb des Oberlabiums durch, kann man die Pfeifenkörper austauschen, ohne einen Klangunterschied zu hören.
Zinkpfeifen stehen deshalb in dem Ruf, einen schlechten Klang zu geben, weil häufig zu locker sitzende Anhängestifte an den Haften ein Klirren erzeugen, das den scheppernden Klang des Pfeifenkörpers anregt. Zudem sind solche Pfeifen, wenn sie in einer Barockorgel im 1. Weltkrieg abgelieferte Prospektpfeifen ersetzt haben, in der damaligen Werkstatttradition mit Expressionen und starken Kernstichen gebaut worden. Eine derart intonierte Pfeife kann nicht zu dem 200 Jahre älteren Klangstil des restlichen Instrumentes passen. Werden Zinkpfeifen mit kurzen Stimmschlitzen versehen und feinen Kernstichen intoniert, so sind sie nicht von Zinnpfeifen zu unterscheiden.

Weiterhin ist auch bei kleineren Zinkpfeifen ein eingesetztes Labium vorhanden. Dies besitzt zwangsläufig eine andere Geometrie als ein gedrücktes oder gerissenes. Die Labierung ist etwas schmaler, der Winkel des Unterlabiums ist steiler und das Oberlabium ist dickwandiger. Diese Dicke des Oberlabiums hat einen entscheidenden Einfluss auf den Klang, nicht die Metallwahl. Dass Zinnpfeifen, die aus statischen Gründen dünnwandiger gefertigt werden können, obertöniger als bleihaltige Pfeifen klingen, liegt an der Dicke des Oberlabiums.

Schlusswort

Im 2. Kapitel der Orgelprobe von Andreas Werckmeister 1698 steht: "Auch habe man wohl acht, dass das Pfeifenwerk nicht zu dünne ausgearbeitet sei, hervorab, wenn das Metall schlecht, und viel Blei hat: Denn so es zu dünne ausgearbeitet ist, kann eine solche Pfeife ohne Verletzung und Beulen, welche sie im Angreifen empfanget, nicht herausgenommen werden. Zum Anderen wird eine solche Pfeife nimmer so gut klingen, als eine, so stark genug ist, denn das ganze Corpus wird von dem Sono gar zu stark beweget, dass es immer mit schnurren will. Hier aber muss die Materia nicht klingen, sondern die Capazität muss den gewissen Sonum geben, indem die fractio aëris (die Schwingung der Luft) in dem Labio geschieht." Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Kernspalten des Neobarock

 
 

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